Hauptstadtkater

24.November 2025

Wer bin ich und Lauras Suche nach dem Ich der Vergangenheit

Früher war ich wild. Wollte nur spielen. Toben. Die ganze Zeit. An Angeln hängende Mäuse jagen. Wollte wie ein Pelzkragen um den Hals meiner Bruna hängen. Wollte meinen großen Bruder Moro piesacken. Und natürlich – ich wollte Leckerli. Heute will ich nur noch Leckerli. Der Rest ist abhandengekommen. Und ich kann kaum glauben, dass ich vor nicht allzu langer Zeit offenbar ein anderer Kater gewesen war.

Behauptet auch Diegos Freund Bruno. Der länger nicht in meinem Revier war und nun sagt, er habe mich als schlanken, ranken Kater in Erinnerung, der spielfreudig mit ihm rumgetollt sei und dann endless gekuschelt habe. Er erkenne mich kaum wieder, wenn ich so bocklos von der Welt davon schreite. Und ich ahne, dass das nicht unbedingt ein Kompliment ist. Für mich. So wie Bruno guckt.

Und ich kann mich nur trösten, indem ich mir sage, dass der Typ nun auch nicht allzu krass ist. Denn er ist der Mann mit der kaputten Schulter. Den eine kleine Welle in Peru aus dem Gleichgewicht riss. Und ihn zu Boden stürzen ließ. Zerschmettert. Die Schulter. Dereinst. Im August.

Nun. Ich will nicht bösartig sein. Eigentlich ja auch so eine typische Alterseigenschaft. Und wende mich Laura zu. Die sich mit demselben Thema beschäftigt wie moi. Sie fragt sich, was sie denn früher wohl für ein Mensch gewesen sei. Sie sei sich aus heutiger Sicht darüber gar nicht mehr so im Klaren.

Denn früher, so als 25- oder 30-Jährige, hätte sie sich nie vorstellen können, mal als Erzieherin zu arbeiten. Drei Kinder, zwei Katzen und einen Mann versorgen zu müssen. Damals habe sie eher von so was wie Selbstverwirklichung als Künstlerin und Frau gedacht. Wenngleich sie heute auch nicht mehr wisse, was sie sich darunter konkret vorgestellt habe.

Klar, auch Familie irgendwie. Sagt Laura. Trotzdem sei es komisch. Da sie denke, dass ihr jetziges Lebensgefühl so sei wie damals. Also klar, mit viel mehr Erfahrungen. Und Lebensdellen. Aber eben, das Innere, das Feeling, das fühle sich gleich an. Wie mit 30. Sie könne kaum glauben, jetzt Mitte 50 zu sein.

Aber auch klar, sie sei völlig anders drauf als damals. Die Veränderungen aber schreiten offenbar so schleichend voran, dass man sie selbst gar nicht bemerkt. Bewusst. Und nur noch staunt. Über sich. Sagt sie.

Ich erahne, was sie meinen könnte. Goutiere, dass Bruno mich trotz seiner Abneigung streichelt. Und liebkost. Ohne Ende. Höre, dass Russland den von den Europäern überarbeiteten US-Friedensplan für die Ukraine ablehnt. Naturally.

Und sehe, dass Coco es sich auf dem Abwasch bequem macht. Liegt auf dem Abtrockenhandtuch. Zwischen Kaffee-Siebträger und Reibe. Mit kirrem Blick. Allzeit bereit zum wilden Spiel. Pubertier eben. Sagt der erwachsene Hauptstadtkater. Der über euch wacht. Und jetzt: Chillt, Leute.

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