Hauptstadtkater

28. November 2025

Das ultimative Schnurr-Erlebnis und die weise Schoa-Überlebende

Ich habe den Schnurrmoment meines Lebens erlebt. Laut, bassig, vibrierend, geradezu melodiös. Kurz: Ganz groß. Meiner Nuria habe ich das zu verdanken. Plötzlich steht sie heute vor mir, extra für mich aus Freiburg angereist. Und ich so: Euphorischer Jump auf ihren Schoß. Ich spüre ihre unnachahmliche Kraulmassage. An den Wangen. Am Kinn. Typical Nuria-Move. Ich schwebe. Spüre, dass ich meine Schnurr-Töne produziere. Und schrecke dann aus der tiefen Trance auf – ich bin zu laut.

Nun, die Ausstrahlung und Ruhe meiner Nuria übertragen sich. Zwar meint sie, sie sei in Freiburg bei ihrem Liberal Arts-Studium voll im Stress. Aber: Sie ist strukturiert. Weiß schon jetzt, mit welchen Praktika sie den kommenden Sommer verbringt. Während meine Leute hier rumhecheln. Und nicht mal wissen, wo sie Weihnachten sein werden. Was in mir leichte Panik verursacht – denn wenn sie weg sind, was wird dann aus mir?

Ich hörte, wie Felix‘ Kollege Martin davon erzählte, er habe einen Futterspender für seine Katzen. Da kämen zuverlässig alle paar Stunden ein paar Plocken raus, man könne das programmieren. Sei eigentlich zuverlässig. Eigentlich. Denke ich so. Und erzittere. Vor Wut.

Höre dann aber wieder meine Nuria. Die erzählt, sie bekomme mehr Zeit für sich, indem sie die sozialen Medien beschleunige. Videos und Audios oder Sprachnachrichten höre sie grundsätzlich mit der doppelten Geschwindigkeit. Um Zeit zu sparen. Da es ja sowieso meist nur doofes Gelaber sei.

Mittlerweile sei sie aber einigermaßen irritiert bei Gesprächen, die nicht online, sondern tatsächlich real face-to-face liefen: Denn die meisten Leute sprächen so unendlich langsam. Und kämen so selten auf den Punkt. Am liebsten würde sie die Leute vorspulen. Verstehe ich. Natürlich. Schnurr as schnurr can.

Eine ganz andere Zeiterfahrung machte heute meine Bruna. Die war mit den von ihr als Teamerin betreuten Konfirmanden in der Gethsemanekirche zu einer Veranstaltung mit der Zeitzeugin und Holocaust-Überlebenden Ruth Winkelmann. 97 Jahre, voll fit. Sagt meine Bruna sichtlich erleuchtet.

Und erzählt: In der Nazi-Zeit wurden Ruths christliche Mutter und der jüdische Vater wegen „Rassenschande“ zwangsgeschieden. Der Vater wurde in Auschwitz getötet. Ruth selbst überlebte – weil sie sich versteckte. Und es Menschen gab, die ihr halfen. Erzählt meine Bruna. Und: Auf die Frage, ob sie Hass verspüre, habe Ruth geantwortet: „Auf wen?“ Auf die Frage, was sie empfehlen könne für ein gutes Leben, habe sie geantwortet: „Genießt die Natur. Ernährt euch gesund.“

Weise. Finde ich. Und so einfach. Eigentlich. Habe dem mal nichts hinzuzufügen. Auch, weil ich mich dann nicht so auf das Kraulerlebnis mit meiner Nuria fokussieren kann. Sagt der superschnurrende Hauptstadtkater. Der über euch wacht. Und jetzt: Chillt, Leute.

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert