Hauptstadtkater

27. September 2025

Entzückende Rücken, Armut und WARK Rocinha

Manchmal muss man einfach klare Kante zeigen. Bei mir heißt das: Klaren Rücken. Muskulös. Schön. Stark. Um Grenzen zu ziehen. Besser: Zu setzen. Beispielsweise vor der vorbei flanierenden Coco. Die immer wieder – scheinbar unabsichtlich – nach mir schlägt.

Diego war heute auf Favela-Tour in Rio. Also, Armenviertel besichtigen. Und ich denke so: bisschen wie im Zoo, nur dass Menschen geguckt werden. Die haben damit aber offenbar kein Problem. Sagt Diego. Und fügt hinzu: Er habe sich sicher gefühlt, es sei entspannt in dem Gebiet.

Sein Guide – ein Local – sei in der Favela anerkannt, habe sich nur einmal eines aufdringlich bettelnden Drogensüchtigen erwehren müssen. Indem er ihn ignoriert habe. Klar, man sollte nicht überall fotografieren. Hmmm, denke ich so.

Die Favela Rocinha mit ihren rund 300.000 Menschen sei vom Rest der Stadt getrennt, es gebe so `ne Art Eingang, auch ein kleines Häuschen, wo man Eintritt – inklusive Führung – zahle, erzählt Diego. Er habe umgerechnet einen Euro bezahlt.

In den 80ern sei das Gebiet tatsächlich arm gewesen, habe der Guide, ein 30-jähriger Brasilianer erzählt. Heute jedoch hätten alle Elektrizität und Internet. Klar, es herrschten hier eben eigene Gesetz. Die Polizei habe kaum was zu sagen. Dafür herrschten Gangs über die Viertel.

Viele Hunde, viele Kater, viel Müll, Jugendliche mit Maschinengewehren, Drogenabhängige – all das habe er gesehen, erzählt Diego. Aber es gebe auch Supermärkte. Und zwei Krankenhäuser und drei Schulen. Wenig, sehr wenig.

Und dann sei er plötzlich in einer Galerie gewesen. Von WARK. WARK Rocinha. Der Mann präsentiere Gemälde in Pop-Art-Style. Unter anderem eine Parodie des Abendmahls von Leonardo da Vinci – 400 Euro koste es. An den Wänden hingen aber auch zahlreiche Zeitungsartikel – auf Deutsch. Die von einer Ausstellung WARKs einst in Lüdinghausen berichteten. Die habe er WARK dann ins Englische übersetzt. Erzählt Diego.

Der Guide habe dann gesagt: Wer hier in der Favela eine Zukunft haben wolle, der werde nicht Künstler, sondern entweder Elektriker oder Mechatroniker. Und deutet auf die Schwärme von vorbeirasenden Mopedfahrern. Und das Gewirr von Kabeln über den engen Gassen. Unruhig. Hier.

Unruhig ist es heute auch hier. In Berlin. Ich schrecke auf, weil es krass laut ist. Vor der Tür. Stolper- und Schlurfgeräusche. Felix schaut: Vor ihm ein alter Mann, streng riechend, aus der zerrissenen Hose ragen offene Beine. Er wolle auf den Dachboden und da schlafen, sagt er. Und lächelt mir zu, da ich neben Felix in der Tür lauere. Nun, Felix kalt, das mir fröstelt, schüttelt seinen Kopf. Fragt, ob er Hilfe holen solle, was der Mann ablehnt. Und begleitet ihn dann nach draußen. Das war’s.

Und ich denke so: Krass. Reiches Land. Armut vor unserer Haustür. Die dann schnöde weggeschickt wird. Als ob es sie nicht gäbe. Wie fühlt sich das an? Frage ich mich. Shame on Felix. Denke ich so. Während Coco von meinem breiten Rücken abprallt. Grenzen eben. Gesetzt. What a shame.

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