Tag: 6. Oktober 2025

  • 6. Oktober 2025

    Kuschelkatzen und Insta-Gedichte

    Coco ist so aufgeregt. Rastlos. Unstet. Nicht Katzen-like. Nicht gechillt. Springt auf mich. Kriecht unter mich. Unfassbar anstrengend. Für mich. Die Contenance zu wahren. Coco-Baby findet es offensichtlich cool, Gläser vom Tisch zu fegen, wenn sie nach einem Spurt nicht rechtzeitig stoppen kann. Oder meine Bruna zu Tränen zu rühren, weil sie deren Aufladekabel fürs iPhone kaputt geknabbert hat.

    Und ich so: Beobachte Coco. Versuche Ruhe zu übertragen. Und irgendwann, als ich schon lange im verbotenen Sessel – verboten: leider, leider, weil teuer und aufwändig renoviert, aber der hat nun mal so geile Kratzflächen, dass selbst ich mich nicht beherrschen kann  – nun, ich chille also da mein Leben.

    Und merke, wie Coco zu mir kommt. Sich ihr Kopf senkt. Auf meinen Pelz. Und ich denke so: Nice. Jedes Tierchen braucht sein Pläsierchen. Und das ist Nähe. Nähe zu anderen. Um Wärme zu bekommen. Und sich fallen lassen zu können. Ich spüre ihren ruhigen Atem.

    Laura erlebt die Suche nach Wärme jeden Tag – bei ihren Jugendlichen, die sie in der Psychiatrie betreut. Neu ist ein Zwölfjähriger dabei. Gestern wollte er sich von einer Brücke stürzen. Weil er keinen Sinn mehr sieht. In einer Welt, in der für ihn kein Platz zu sein scheint. Laura setzt sich neben ihn. Irgendwann nimmt sie seine kalte Hand. Sein Gesicht entspannt sich.

    Er redet. Sprudelt. Schildert, wie sein Held, ein Drogen-Junkie aus einer Netflix-Serie, sich den goldenen Schuss setzt. Und Laura so zu ihm: „Bis Ende der Woche schreib doch mal auf, warum du die Serie so gut findest – und stellst uns das in der Gruppe vor.“ Der Junge strahlt.

    Ernstgenommen. Ist er. Endlich. Denke ich so. Und vielleicht klappt es zwischen den Generationen eh besser, wenn man versucht, auf Augenhöhe zu agieren. Die einen mögen Lyrik. Vor allem die Alten. Die anderen Instagram. Vor allem die Jungen. Und nun gibt es eine junge Frau, von der meine Bruna schwärmt, die beides zusammengebracht. Clara Lösel, 26, Deutschlehrerin. Veröffentlichte in 100 Tagen 100 coole Gedichte auf Insta. Und – die Autorin liest sie selbst vor – und hat Millionen Fans.

    „Ich bin ein Träumer, ich hoffe viel und denke nach, denn ich glaube fest daran, dass sich zu jeder Zeit alles wieder ändern kann“, zitiert meine Bruna ein Gedicht von Lösel. Meine Alten Laura und Felix: Bass erstaunt. Meine Bruna so: Yes, Gedichte können cool sein.

    Und ich so? Bin kein Träumer. Sondern Realist. Nichts ändert sich. Erst mal: Ich blicke Coco an. Auf Augenhöhe. Sure. Sie springt auf. Steht mit allen Pfoten auf mir. Kratzt den verbotenen Sessel. Nichts geht mehr. Nächste Runde. Sie ist so aufgeregt. Nicht so ich. Chill. Baby.