Tag: 29. September 2025

  • 29. September 2025

    Liebe auf den ersten Blick und die Lust aufs Defizit

    Diego is back! Nach zweieinhalb Monaten Südamerika. Kommt er nun in mein Revier – braun gebrannt, mit lässig übergezogenen Trikot des Rio-Top-Fußballclubs Flamengo – naturally Fake – barfuß in Flip-Flops, als ob er an der Copacabana promenierte. Dabei ist er zurück in der Realität, in der deutschen, grauen, kühlen Realität des Herbstes 2025. Im düsteren Flur eines Berliner Altbaus.

    Und Diego ist auch gleich wieder deutsch drauf: Er habe es gehasst – ja: gehasst! – in Frankfurt zu landen, erzählt er, nachdem er mich kurz in seinen intensiv duftenden Arm geschlossen hat. Und ich so, schnurrend: Yes, he is back. Der Kuschler Numero Uno.

    Aber ich will nicht abschweifen, zurück zu Diego:  Die Gesichter der Menschen in Deutschland seien – so ernst, so hart, so angespannt, so verkniffen, so gereizt, so unflexibel. Sprühten anders als jene in Brasil keine Lebensfreude aus. Nirgends ein Lächeln. Es sei kein Geben, sondern ein Nehmen von Energie. Seiner Energie.

    Immerhin – er merkt es selbst – alles doch ein wenig übertrieben. Als ob in Brasil alles easy wäre. Sagt Diego. Und in Frankfurt dann hätte er seine Meinung über die Deutsche Mentalität auch – fast – revidiert. Musste wegen eines Problems für den Weiterflug nach Berlin zum Lufthansa-Schalter.

    Und dort: Ein supernetter Typ. Offen. Smart. Gut gelaunt. Mit immer breiterem Lächeln, als er hörte, Diego sei in Brasilien gewesen. Denn: „Ich komme aus Rio und lebe seit acht Jahren in Deutschland. Sagt der junge Mann. Und Diego: Ach so, alles klar.

    In Deutschland sei eben alles Defizit. Meint Diego. Selbst Dinge, die objektiv betrachtet negativ seien, würden ihm nun fehlen.  Für das positive Brasil-Feeling. Beispiel: Die korrupte brasilianische Politik. Aber hier gäbe es nun mal nur Spröde-Kanzler Merz oder AfD-Chef Chrupalla – und keinen brasilianischen Glitzer-Typen wie den rechten Ex-Präsidenten Bolsonaro.

    Der war vor wenigen Tagen wegen eines Putschversuchs nach seiner Wahlniederlage gegen Lula vom Obersten Gerichtshof zu mehr als 27 Jahren Haft verurteilt worden.  Defizite aber auch am Berliner Flughafen: Wo es keine Taxifahrer gäbe, die einen anquatschen, wohin man fahren wolle. Oder ganz allgemein: Es gäbe keine Moped-Schwärme, keinen Lärm, keinen Smog, keinen dichten Verkehr, keine Sonne, keine Wärme.

    Und ich so: Aber klar doch: Wärme. Bekommst du von mir im Revier. Schnurre ich. Aber dann ist es auch mit meiner Herrlichkeit vorbei. Coco drängt sich vorbei. Springt auf seinen Arm, als ob sie ihn Ewigkeiten kennen würden. Und ich denke so: Als ob. Coco kuschelt sich an ihn, an sein seit elf Tagen nicht gewaschenes Flamengo-Trikot. Schnurrt.

    Und ich schwöre: Das ist Liebe auf den ersten Blick. Nice. Kitschig. Wie sie ineinander eintauchen. Dann gehe ich mal. Froh, dass da mit Diego einer ist, der mir nun die Arbeit abnimmt. Mit ihr. Der ständig Spielen Wollenden. Und tatsächlich. Diego schwingt die Angel mit der Maus. Und sofort. Hängt. Coco. Dran.

    Und Diego schneidet meinen Blick. Um mich zu verletzen. Sagt: Ich hätte mich verändert. Sei viel ruhiger, zurückgezogener und fetter geworden. Ja: Er sagt: Fetter. Krass. Voll Bodyshaming.

    Zumal es objektiv gesehen nicht stimmt. Es kann vielleicht so wirken. Weil Baby-Coco da ist. Schlank, rank, wild wie ein Rehkitz. Und ich von meinen Kurzhaar-Rasse-Genen eher ein Breit-Face bin, während Coco eher ein Schmal-Face Maine Coon ist. Aber: Das verstehen sie wieder nicht. Die Menschen. Schade.