„Mein Kampf“ in Rom und Grenzüberschreitungen als Methode

Inwieweit können Grenzen verschoben werden? Mir scheint, viele testen das gerade aus. Menschen. Tiere. Alle rücksichtlos. Ohne Reflektion darüber, was das Austesten auslösen kann. An Schmerz. Das fängt bei Coco an. Sie schafft es mittlerweile, den Kratzbaum zu erklimmen. Und den geheiligten Korb des Moro zu erreichen. In dem sie sich dann so platziert, als wäre es schon immer ihrer gewesen.
Damit überschreitet sie für mich eine rote Linie: Denn es war Moros Korb. Den ich als Zeichen der Ehrerbietung bislang unbesetzt hielt. Sein Platz, auf dem nun ihr Kopf liegt. Nun – natürlich, sie weiß es nicht. Dass er, Moro, mein Kompagnon, vor gerade mal 80 Tagen starb. Insofern. Kein Vorwurf. Oder doch. Weil ich traurig bin. Dass er nicht mehr da ist. Wütend. Oder so. Undefiniertes Scheißgefühl einfach. Sorry.


Dass in den USA seit einigen Monaten ständig Grenzen verschoben werden, schildere ich hier ja beinahe täglich. Heute ein besonders krasses Beispiel: Ein Moderator des rechten Senders Fox News bringt mich mit verstörenden Aussagen zum Kotzen.
Nachdem vergangene Woche im UN-Hauptgebäude in New York die Rolltreppe ausgefallen war, just als US-Präsident Trump samt Frau Melania da draufstanden, sagte er allen Ernstes: „Das ist ein Aufstand, und wir müssen entweder die UN verlassen oder sie bombardieren. Aber sie ist in New York, oder? Vielleicht gibt es da Kollateralschäden. Vielleicht vergasen?“
Unfassbar. Denke ich so. Die Grenzen des Unsagbaren werden verschoben. Die Sprache wird rabiater. Und das wirkt sich dann auch auf die Handlungen der Menschen aus.
Meine Nuria lustwandelt heute auf einem Flohmarkt in Rom. An einem Stand werden Bücher verkauft, nebeneinander Stapel von Meisterwerken der englischen und französischen Literatur aus dem 19. Jahrhundert: Emily Brontes „Sturmhöhe“ – ein Roman über Liebe und Leidenschaft – und Charles Baudelaires Gedichtsammlung „Die Blumen des Bösen“ – eine Abrechnung mit der Welt.


Direkt daneben ein deutsches „Werk“ aus dem 20. Jahrhundert: Adolf Hitlers Kampfschrift „Mein Kampf“. Krass, in Deutschland ist der Verkauf des Pamphlets verboten, in Italien wird es verramscht neben Klassikern der Weltliteratur. Und ich denke so: Es gibt kein Bewusstsein, dass für die Demagogie faschistischer Massenmörder nirgends Platz sein sollte. Unappetitlich. Unreflektiert.
Coco chillt im Korb auf dem Schrank. Und ich denke so: Sie kann ja nichts dafür. Dass es einst Moros Platz war. Die Welt dreht sich immer weiter. Und ich bin sicher: Moro wäre glücklich, wenn er sähe, wie Coco nun in seinem Korb chillt.


Puuh, wie schwülstig ich geworden bin. Merke ich selbst. Denn ich weiß: Moro wäre entsetzt. Hätte gefaucht. Und Coco verjagt. Um Grenzen zu wahren. Amen.